Unsere Kaderathletin Lisa Boos war dabei, als es hieß:
„The Eddie is gonna be on!!! It’s on green alert!!!” Wenn diese Nachricht kommt, verwandelt sich die sonst eher ruhige Stimmung an der North Shore von einer Minute auf die andere. Die Spannung wächst über Tage und es ist überall zu spüren. Egal ob am Strand, im Surfshop oder im Supermarkt. Alle reden nur noch vom Eddie. Aber was ist der Eddie eigentlich?
Um die Legende von Eddie Aikau und die aktuellen und ehemaligen Big Wave Surfer zu ehren, gibt es den Eddie Aikau Big Wave International. Für diesen Big Wave Contest gibt keine Qualifikation, sondern die Surfer:innen werden gezielt ausgesucht. Für jede:n Big Wave Surfer:in ist es eine große Ehre und ein Lebenstraum, zu der kleinen auserwählten Gruppe zu gehören und beim Eddie Aikau Contest dabei zu sein. Der Eddie kann in einem Zeitraum von 3 Monaten zwischen dem 14. Dezember bis 13. März stattfinden – die einzige Voraussetzung:. Die Wellen müssen über 30 Fuss sein. So war es genau am 22. Januar 2023.
Ich verbringe – wie schon in den letzten 2 Jahren – den Winter an der North Shore von Oahu. In keinem dieser vergangenen zwei Winter hatte der Eddie stattfinden können. Sollte es diesmal anders sein?
Am Tag vor dem Eddie waren die Wellen noch mini und ich war bei schönstem Wetter 3-4 ft Rocky Point surfen. Rockies ist ein Riff, dass jeden Swell gut annimmt. Wenn es sonst überall zu klein ist, geht man hier surfen. Von großen Wellen war also weit und breit nichts zu sehen. Die Vorhersage war, dass über Nacht ein riesiger Swell ankommen sollte. Aber niemand im Wasser mit mir konnte glauben, dass es morgen 40 Fuss sein sollte.
Der Eddie Contest war zwar für den nächsten Tag angesagt, aber das war in den letzten Jahren schon mehrfach passiert. Im Endeffekt waren die Wellen nie groß genug gewesen, um den Contest wirklich abzuhalten. Das letzte Mal, dass die Wellen groß genug waren und der Eddie lief, war 2016. Vor 7 Jahren! Ich wollte den Contest so gerne miterleben.
Diesmal sollte es anders werden. Big Wave Surfer:innen aus der ganzen Welt waren angereist und Hunderte von Menschen hatten ihre Zelte bei Waimea Bay aufgebaut. Sie parkten ihre Autos kreuz und quer am Kamehameha Highway, der Hauptstrasse an der North Shore. Selbst bei uns im Garten hatten viele Freunde und Familien Zelte aufgebaut, um morgens gleich früh zum Contest zu gehen. Aber es war immer noch schwer zu glauben, dass der Contest wirklich stattfinden wird. Doch abends spät jubelten dann plötzlich unsere Freunde: Der Swell hatte die Bojen weit draußen vor Hawaii erreicht und würde in wenigen Stunden auf die Küste schlagen.
Morgens wachte ich tatsächlich auf vom lauten „Boom“ der Wellen. Um 7:30 morgens wurde dann auch der offizielle Call gemacht, dass der Eddie Big Wave Invitational heute stattfinden soll! Schnell haben wir unsere Rucksäcke gepackt und sind mit den Fahrrädern zu Waimea Bay geradelt. Wir waren fast bei Waimea, aber konnten nicht weiter, weil so viele Leute die Straße blockierten. Die Fahrräder haben wir dann weiter weg an einem Baum fest gemacht und sind runter gelaufen.
Viele Zuschauer waren in die Steilwände, Klippen oder auf Bäume geklettert, um das Spektakel zu sehen und auch der Strand war voller Menschen. Der einzige Platz, wo wir noch was sehen konnten, war direkt vor der Flussmündung. Das war unglaublich!!! So große Wellen habe ich noch nie so nah gesehen.
Die Sets waren 50 Fuß hoch und sind über die ganze Bucht gebrochen. Das war seit Jahren nicht passiert. Die Surfer sahen im Vergleich zu den Wellen wie Ameisen aus. Bei jeder Welle oder auch Wipeout kreischten die Zuschauer am Strand. Die Stimmung war noch mal anders am Strand als auf dem Fernseher.
Ich traf meinen Trainer, Kahea Hart, als er aus seinem Heat kam und war so stolz, dass mein Trainer, der an diesem Tag 51 Jahre geworden ist und beim Eddie teilgenommen hat!
Die Wellen wurden im Laufe des Tages immer größer und regelmäßiger. Das Meer pulsierte regelrecht, entweder für Eddie oder für die Big Wave Surfenden und uns am Strand. Immer wieder gab es Ritte auf Traumwellen und selbst die erfahrensten Surfer:innen hatten die besten Wellen ihres Lebens. Billy Kemper sagte nach seinem Heat mit zitternder Stimme, dass der heutige Tag mit den heutigen Wellen der beste Contest seines Lebens war. Und er ist mehrfacher Big Wave World Champion. Die Ehre dabei zu sein und die Aura der Waimea Bucht zu spüren, war einfach überwältigend.
Die Lifeguards hatten auch alle Hände voll zu tun. Nicht nur im Wasser aber auch am Strand. Jedes mal, wenn ein extra großes Set kam, spülten die Wellen über den Strand und verwandelten den sonst so schönen Strand von Waimea in einen reißenden Fluss. Überall wurden dann überraschte Menschen vom Wasser mitgerissen und Taschen, Telefone, Sonnenhüte ins Meer gespült. Es war ein Tag mit viel Stimmung und Aufregung für uns, aber für die Lifeguards war es schwierig, die Menschenmassen unter Kontrolle zu halten und vor den grossen Wellen zu schützen.
Am Ende kam noch die grosse Überraschung bei der Siegerehrung. Als Sieger gekrönt wurde nicht ein berühmter Big Wave Surfer wie Kai Lenny oder Billy Kemper, sondern ein in der Wettkampfwelt unbekannter Lifeguard. Das unglaubliche dabei: Luke Shepardson hatte so kurzfristig auch nicht frei bekommen und hat also am Tag des Contests als Lifeguard gearbeitet und zwischen seinen Heats immer wieder in seine gelb-rote Uniform gewechselt, um das Chaos und die Gefahr für die Menschen am Strand und im Wasser in Grenzen zu halten. Wenn er also nicht in gerade im Contest auf Riesenwellen surfte, rettete er Menschen und Surfende am Strand.
Gewonnen hat Luke mit einer Traumwertung von 89 Punkten aus 90 möglichen und hat sich so einen Lebenstraum erfüllt, von dem jeder Big Wave Surfer auf Hawaii träumt. Einmal im Eddie Aikau Big Wave dabei zu sein und dann auch noch den Eddie zu gewinnen. Wie in einem Märchen! Ich werde diesen Tag nie vergessen!!